Aktivitäten 2008 - Mallorca Exkursion
Bericht der 1. Mallorca-Expedition des TVT e.V.
in Zusammenarbeit mit dem Museu Balear de Ciències Naturals Sóller und dem Naturkundemuseum Erfurt
Am Anfang der Idee einer paläontologischen Expedition nach Mallorca standen einige Fotos, die Vereinsmitglied Dr. Thomas Groh während seines Urlaubs in Sóller auf Mallorca gemacht hatte. Darauf sind Ammoniten mit der Bezeichnung Ceratites atavus und Ceratites muensteri abgebildet die unseren germanischen Ceratiten zum Verwechseln ähnlich sehen. Da sich Siegfried Rein zu diesem Zeitpunkt mitten in der Bearbeitung der immigrierten frühen Ceratiten-Morphen befand und sich mit dem Speziationsprozess der Biospezies Ceratites nodosus beschäftigte, bekamen diese Bilder bei der Suche nach den Individuen der Stammart eine außerordentliche Brisanz für uns. Sollten diese so vertraut wirkenden Exemplare etwa Verwandte unserer Immigranten sein? Allein die zwar geringe, jedoch vorhandene Wahrscheinlichkeit dieser Möglichkeit ließ nicht ohne Visionen bei uns einen euphorischen Forschungseifer ausbrechen.
Gemeinsam mit dem Direktor des Naturkundemuseums Erfurt Matthias Hartmann wurde der Kontakt mit dem Museu Balear de Ciències Naturals in Sóller geknüpft. Die dortige Direktorin, Frau Constantino, stand einer Zusammenarbeit aufgeschlossen gegenüber und unterstützte aktiv die Vorbereitung des Unternehmens.
So machten wir uns - Sebastian Brandt (Kornhochheim), Dr. Walter Elger (Berlin) und Siegfried Rein (Erfurt) - vom 13.04.2008 für eine Woche auf den Weg in das unbekannte Gebirge im NW-Mallorcas. In euphorischer Vorfreude auf fossilreiche Tage und meterhohe Aufschlüsse hatten wir Hunderte von leeren Fossilienschachteln, Zetteln, Stiften, Vermessungsutensilien, Probenbeuteln in unserem Gepäck. Doch alles sollte ganz anders kommen.
Vor Ort gelandet und mit frisch gemietetem Auto ging es schon am ersten Nachmittag zu einer ersten Erkundung in die atemberaubende Natur des mallorcinischen Hochlandes. Lediglich ausgerüstet mit ein paar vagen Fundort-Angaben von den Sammlungsetiketten, merkten wir schnell wie kompliziert es im Gelände (einem gigantischen, wie durcheinander gerührten, verfalteten und aufgeschobenen „Scherbenhaufen“ aus allen geologischen Ablagerungen des Mesozoikums bis heute) werden würde, geologische Orientierungspunkte zu finden.
Der Finder der bereits vor einem halben Jahrhundert gesammelten Belegstücke, Herr Juan Bauzá Rullán, war ein umtriebiger Sammler und Wissenschaftler, der sich sehr vielschichtig mit der extrem gestörten Geologie Mallorcas und deren Fossilien beschäftigte. Als einziger Kenner der Fundstellen war er leider 2004 neunzigjährig verstorben. Ohne die Ortskenntnis einheimischer Fachleute waren wir jedoch chancenlos. Schließlich ging es doch darum herauszufinden, aus welchem stratigraphischen Niveau des „balearischen Muschelkalks“ Bauzá vor über sechzig Jahren seine Belegstücke geborgen hatte.
Den persönlichen Verbindungen von Direktorin Frau Constantino verdanken wir die Vermittlung zu dem Mathematiklehrer Joan Arbona aus Sóller und den Paläontologen Prof. emer. Guilieme Mathieu und seinem Sohn von der Universität der Balearen in Palma de Mallorca.
Joan Arbona arbeitet seit Jahren an einer detaillierten geologischen Karte der Umgebung von Sóller im Maßstab 1:10 000! Dazu läuft er alles mit unzähligen Sohlentritten ab und zeichnet sich parallel dazu vorwärts. Dabei lernt er natürlich jeden Stein der Gegend persönlich kennen. So wurde Joan auch zu unserem wichtigsten Wegbereiter.
Prof. Mathieu, ganz begeistert von unserem Vorhaben, stellte uns hilfsbereit umfangreiches geologisches Kartenmaterial und Literatur von Bauzá Rullán zur Verfügung. Sein gleichnamiger und ebenso engagierter Sohn war für uns eine unschätzbare Hilfe im Gelände. Ein schier unlösbares Problem lag nämlich darin, dass Bauzás Fundortangaben zum einen Ortsnamen bezeichnen, die -zigmal in Mallorca zu finden sind und zum anderen auch noch zum Teil Gebiete von mehren Quadratkilometern Ausdehnung benennen. Diese Ländereien sind heute in Privatbesitz und normalerweise überhaupt nicht zu betreten. Überall verwehrten uns endlose Zäune und Tore entlang von Plantagen den Zugang zu den einstigen Fundgebieten. Guilieme verdanken wir die erfolgreichen Verhandlungen mit den Plantagenbesitzern zum Betreten der Ländereien.
Das interessanteste Gespräch in diesem Zusammenhang führte Walter, als wir mitten in der Pampa am Ende einer Schotterpiste vor einem verschlossenen Tor in der Mittagsglut standen und er mit der etwas genervten millionenschweren Grundstücksherrin per Handy telefonierte. Sie war gerade auf dem Flug nach Las Vegas.
Letztendlich wurde es eine Reise der unabsehbaren Verrücktheiten und der vielen Kilometer. Der Begriff „Geländearbeit“ bekam für uns eine ganz andere Dimension. Bauzás Sammelgebiete wurden wahrscheinlich seit vierzig Jahren von kaum einem Menschen – außer den einheimischen Vogeljägern – betreten. So ging es dann durch Dickichte aus Dornensträuchern, mediterranen Trocken-Urwäldern und Unterholz. Stacheldrahtzäune mussten überstiegen oder unterkrochen werden, alte verfallene Mauern erklommen und Baumstämme entlang balanciert werden. Immer auf der Suche nach einem Loch mit einem bisschen „Muschelkalk“ darin – entweder unter einem entwurzelten Baum im weglosen Gelände, einer bröckeligen Felswand, oder einmal sogar in einem alten Steinbruch – oder eben wie so oft an Straßenböschungen und Baustellen. Dabei erlebten wir oft allerlei Überraschungen. Sei es der hervorschnellende Biss eines niedlichen Geckos, glänzende Riesentausendfüßler, der grausige Fund einer verwesten Ziege – oder eben einfach die allgegenwärtigen, mit köstlichen Früchten und betörenden Blüten überladenen Apfelsinen- und Zitronenbäume. Insgesamt sechs volle Tage durchkämmten wir mit unseren motivierten Freunden jeden triassischen Winkel Mallorcas. Bis auf ganz wenige Ausnahmen – ohne Erfolg.
Es schien unmöglich größere Profile zu erstellen oder gar Fossilien in der Schicht zu finden. Die Entdeckung einer Schillbank galt schon als Ereignis des Tages. Jedoch ließen wir uns nicht entmutigen und versuchten es jeden Tag aufs Neue.
Am Ende brachten wir es doch noch auf ein paar Profilmeter und sehr viele geheimnisvolle Erkenntnisse. Eines davon ist die sichere Erkenntnis, dass es sich bei den Ceratiten von Mallorca selbstverständlich nicht um „Ceratites atavus“ oder „Ceratites muensteri“ handelt. Aber diese Problematik wird das Thema einer speziellen Untersuchung sein. Allerdings blieb uns der Neufund eines Ceratiten oder die sichere stratigraphische Einordnung der Altfunde bisher leider verwehrt. Nichts desto trotz war Mallorca eine wichtige und wunderschöne Entdeckung für uns, voller Abenteuer auf Abwegen, endemischen Pflanzenjuwelen, tierischen Überraschungen und sehr gastfreundlichen und hilfsbereiten Bewohnern. Vielen Dank an Frau Constantino, Joan und die Guiliemes – und ganz besonders noch einmal an Walter für seine finanzielle und fahrtechnische (Großartig!) Unterstützung dieser tollen Expedition.
Text und Bild:
Sebastian Brandt
Siegfried Rein